Das Weihnachtslächeln

(geschrieben 1978)

Ich bin eine Vietnamesin und lebe seit drei Jahren in Deutschland. Vor vier Jahren noch lebte ich in einem thailändischen Flüchtlingslager und wartete auf die Einreisegenehmigung nach Deutschland. Meine Cousine Lien, die schon seit vielen Jahren mit ihren Eltern in Hamburg lebt, schickte mir an Weihnachten einen Brief, durch den ich zum ersten Mal etwas vom deutschen Weihnachtsfest erfuhr. Ich habe ihn mit Hilfe einer deutschen Freundin übersetzt:

Liebe Phi,

heute ist schon der erste Weihnachtstag, und Du bist immer noch in diesem Lager in Thailand. Ich hatte so sehr gehofft, dass Du schon zu Weihnachten die Einreisegenehmigung bekommen würdest, denn jetzt ist die beste Zeit für Ausländer, nach Deutschland zu kommen. Jetzt in der Weihnachtszeit sammeln sie überall für die Menschen in der dritten Welt, damit sie sich an Weihnachten auch freuen können. Sie machen Feiern mit Kuchen und Keksen für die alten und einsamen Menschen. In der Schule haben wir Weihnachtlieder eingeübt, und dann sind wir in ein Krankenhaus gegangen, um für die kranken Menschen zu singen. Ich bin in den letzten Tagen oft durch die Straßen gegangen. Einfach nur so, ohne etwas zu kaufen. Überall geschmückte Tannenbäume und beleuchtete Sterne. Und die Menschen. Sie eilen vorbei, mit Paketen beladen. Und sie haben so ein Lächeln im Gesicht. Ein Weihnachtslächeln. Darum hatte ich gehofft, Du könntest schon jetzt kommen, denn ich weiß nicht, wie lange das Lächeln bleibt.

Deine Lien

(Nguyen thi Phi, im Jugendfestadventskalender 2007, http://www.jugendfest.de/adventskalender/2007/fenster.php?tag=22)


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