Kulturbuntes Bodenheim beklagt Mängel bei den beschleunigten Asylverfahren. „Auch in Bodenheim beobachten wir fassungslos, dass ‚Easy-Gap-Verfahren‘ zum Beispiel von nur eingeschränkt qualifizierten Dolmetschern begleitet werden, zum Teil nicht für die Angehörten in die Muttersprache zurückübersetzt werden, Entscheidungen anfechtbar sind“, schreibt Sprecherin Elisabeth Henn in einem offenen Brief an Politiker auf Landes- und kommunaler Ebene. Das Schreiben im Wortlaut:
Sehr geehrte Frau Ministerin Anne Spiegel,
Sehr geehrte Frau Beigeordnete Hartmann-Graham,
Sehr geehrter Herr Verbandsbürgermeister Dr. Scheurer,
Sehr geehrter Herr Ortsbürgermeister Becker-Theilig,
seit Februar 2015 engagieren sich viele Bodenheimer Bürgerinnen und Bürger in dem lokalen Netzwerk „Kulturbuntes Bodenheim“, der örtlichen Flüchtlingshilfe. Sie alle haben uns auf Orts-, Verbandsgemeinde-, Kreis- und Landesebene bislang engagiert unterstützt. Danke für Ihre Zeitfenster, Ihre Ressourcen und Ihre Gesprächsbereitschaft!
Heute wenden wir uns an Sie, weil uns die Verschärfungen in der Flüchtlings- und Sozialpolitik große Sorgen bereiten. Mit Entsetzen hören wir die Ankündigung von Andrea Nahles, EU-Bürgern die Grundsicherung für eine halbe Dekade verwehren zu wollen. Eine „grüne“ Stimme aus Baden-Württemberg verlangt die Wiedereinführung von Studiengebühren für alle Nicht-EU-Ausländer. Wie passt das zu einem weltoffenen Deutschland und all den Erfolgsmeldungen über die angeblich boomende Wirtschaft?
Die EU zäunt sich mit Stacheldraht ein und strebt Flüchtlings-Deals mit Transitstaaten wie Sudan, Ägypten und Libyen an, in denen Menschenrechte verletzt werden. Wie passt das zu unseren sozialen und christlichen Werten, zu unserem Grundrecht auf Asyl?
Bundestagswahlen sind erst im Herbst 2017. Bitte vergessen Sie nicht: Längst nicht alle Deutschen wollen eine schärfere Flüchtlingspolitik. auch wenn deren Befürworter sich in den letzten Monaten lautstark zu Wort melden.
Außerdem haben wir ein sehr konkretes Anliegen: Amnesty International und ProAsyl haben bereits im Sommer deutlich gemacht, wie durch die beschleunigten Asylverfahren die Qualität der Einzelfallprüfungen leidet. Auch in Bodenheim beobachten wir fassungslos, dass „Easy-Gap-Verfahren“ zum Beispiel von nur eingeschränkt qualifizierten Dolmetschern begleitet werden, zum Teil nicht für die Angehörten in die Muttersprache zurückübersetzt werden, Entscheidungen anfechtbar sind.
Ein Beispiel: Kazim Khaliqyar wird an diesem Donnerstag (13.10.2016) nach Afghanistan „zurückgeführt“. Die Begründung der Ablehnung widerspricht den Aussagen, die im Protokoll nachzulesen sind. In der Begründung der Entscheidung wurden diese verdreht und falsch wiedergegeben. Es scheint unerheblich, was Kazim erzählt. Von individueller, kompetenter und Tatsachen gestützter Einzelfallprüfung kann keine Rede sein.
Herr Khaliqyar hat keine Zeit, um sein Recht auf eine objektive und faire Auswertung seines Interviews zu erstreiten. Denn seine Familie in Kabul wird bedroht. Informationen dazu finden Sie im Anhang.
Der Einzelfall zählt. Und gleichzeitig steht Kazim für viele andere.
Bitte schauen Sie nicht weg.
Bitte nutzen Sie Ihre Möglichkeiten in Ihren politischen Funktionen und Parteien.
Herzliche Grüße im Namen von Kulturbuntes Bodenheim
Elisabeth Henn
– Sprecherin Kulturbuntes Bodenheim –
Weitere Informationen zum Fall Kazim finden Sie hier:
Gesetz der großen Zahl ist ernüchternd – „Allgemeine Zeitung“ vom 27. Juli 2016 über die bisher erfolglose Intervention der Bundestagsabgeordneten Held und Metzler im Fall Kazim
Immer noch lange Wartezeiten – „17.30 Sat.1 live“ vom 15. Juli 2016 über afghanischen Flüchtling in Bodenheim
Zehn Monate warten – Afghane möchte in Bodenheim endlich Asylantrag stellen – „Allgemeine Zeitung“ vom 13. Juli 2016