Die Ausländerbehörde des Landkreises Mainz-Bingen verpflichtet aktuell im Kontext der Verlängerung der elektronischen Aufenthaltstitel subsidiär anerkannter syrischer Flüchtlinge diese zur Passbeschaffung bei der syrischen Assad-Botschaft in Berlin. Wir halten dies als in unserem Landkreis und in Rheinland-Pfalz engagierte, ehrenamtliche Helfer*innen und Integrationslots*innen für eine unzumutbare Härte und für in hohem Maße bedenklich. Diese Vorgehensweise versetzt die subsidiär geschützten Menschen in Angst und Schrecken und gefährdet deren zurückgebliebene Familien in Syrien. Dieses Verwaltungsvorgehen ist vielen an der Integration mitwirkenden Menschen und in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Deshalb haben wir uns zu diesen offenen Briefen entschlossen.
Offener Brief an
Frau Landrätin Dorothea Schäfer, Kreis Mainz-Bingen
Herrn Leitender Staatlicher Beamter Dr. Cludius, Kreisverwaltung Mainz-Bingen
Frau Hartmann-Graham, Zweite Kreisbeigeordnete Kreisverwaltung Mainz-Bingen
Passbeschaffungspflicht syrischer, subsidiär geschützter Flüchtlinge durch die Ausländerbehörde
Sehr geehrte Frau Landrätin,
sehr geehrte Frau Beigeordnete,
sehr geehrter Herr Dr.Cludius,
wir sind ein Kreis engagierter, ehrenamtlicher Integrationslots*innen und Helfer*innen,
eingebunden und vernetzt in den AK-Asyl des Landkreises sowie in den AK-Asyl Rheinland-
Pfalz. Mit Entsetzen haben wir die Verpflichtung der Ausländerbehörde wahrnehmen müssen, wonach subsidiär anerkannte syrische Flüchtlinge bei der Verlängerung ihres Aufenthaltstitels nun mit Fristsetzung zur Beschaffung eines syrischen Passes bei der Botschaft in Berlin aufgefordert werden. Auch wurden bereits ausgegebene und auf drei Jahre ausgestellte Reiseausweise für Ausländer (grauer Pass) bei der Aushändigung des verlängerten Aufenthaltstitels wieder eingezogen. Dies versetzt diese Menschen in Angst und Schrecken. Der syrische Staat unterscheidet nicht wie das BAMF in Flüchtlingsstatus und subsidiären Schutzstatus. Für das Assad-Regime sind alle geflohenen Menschen Verräter, Kriegsverweigerer und Feinde des Regimes. Mit der Verpflichtung und Aufforderung die Botschaft zu betreten, zwingen Sie diese Menschen sich auf territoriales Gebiet des Staates zu begeben, von dem sie geflohen sind. Sich den staatstreuen Diplomaten auszuliefern, vor deren Regime sie fliehen mussten. Das ist in höchstem Maße unsittlich, verwerflich und diesen Menschen nicht zumutbar.
Hätten Sie oder irgendein nichtfaschistischer Staat Europas in den 1930-er Jahren jüdische Flüchtlinge in deutsche Nazibotschaften und zu Gestapo-Beamten geschickt, um sich Reisepässe zu beschaffen? Auch wenn diese Menschen sicher nicht in den Kellern der syrischen Botschaft verschwinden, so halten wir diesen Vergleich infolge Ihrer Verpflichtung und der Situation in Syrien aber durchaus für zulässig. Sie zwingen diese Menschen, sich dem Assad-Regime zu offenbaren. Bisher hat das Regime keine kompletten Erkenntnisse, wer alles das Land verlassen hat. Mit der Passbeantragung liefern Sie diese Menschen nun der Willkür des Regimes aus. Es wird bekannt, wer geflohen ist und es wird bekannt, welcher Teil der Familie sich noch wo in Syrien aufhält. Dies setzt die gesamte Familie einer Verfolgungs- und Repressionsgefahr aus. Wir halten diese Gefahren für Sie, als Vertreterinnen und Vertreter des deutschen Rechtsstaates, für nicht einschätzbar und auch nicht für verantwortbar.
Wir wissen sehr wohl, dass es grundsätzlich nach dem Aufenthaltsgesetz (§48) eine Mitwirkungsverpflichtung zur Identitätsbeschaffung gibt. Sie wissen aber auch sehr wohl, dass die Erteilung und Verlängerung des Aufenthaltstitels nicht von der Vorlage eines Heimatpasses abhängig gemacht werden darf und Sie wissen auch, dass bei Unzumutbarkeit der Beschaffung eines syrischen Passes sehr wohl der Reiseausweis für Ausländer (grauer Pass) auszustellen ist. Es erscheint deshalb rechtlich zweifelhaft, ob diese bereits ausgestellten Dokumente bei der Verlängerung des Aufenthaltstitels eingezogen werden dürfen, wie bei der Ihnen unterstellten Ausländerbehörde bereits geschehen. Insbesondere als Voraussetzung und in Verknüpfung der Aushändigung des neuen, verlängerten Aufenthaltstitels.
Wir verweisen in diesem Kontext auch auf das Mail des Bundesministeriums des Innern vom
06.07.2017. Dort heißt es ausdrücklich zur Passbeschaffung:
….Dies gilt allerdings nicht für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte und
Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach §25 Absatz 3 (§5 Absatz 3 Satz 1 AufenthG). Diese
sind kraft Gesetzes von der Pflicht zur Erfüllung der Passpflicht für die Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis ausgenommen („ist … abzusehen“). Der Aufenthaltstitel ist somit
ungeachtet dieser Erteilungsvoraussetzung zu erteilen (s. auch AVV Ziffer 5.3.1.1).
Solange das BAMF kein Widerrufsverfahren gegen diese Menschen eingeleitet hat, ist die Ausländerbehörde verpflichtet, den Aufenthaltstitel ohne Auflagen zu verlängern. Auch nach §5 Satz 1 Aufenthaltsverordnung ist
… einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Ersatzpass besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, kann nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.
Und in Satz 2, 2. ist zur Mitwirkungspflicht ausgesagt
….., sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt, …
Darüber hinaus spielen Sie mit Ihrer Praxis dem Assad-Regime in die Hände. Die Gebühren für
die Ausweise steigen stetig und werden weiter willkürlich ansteigen, je mehr subsidiär geschützte Menschen von Ihnen verpflichtet werden. Diese Menschen müssen sich immer höher verschulden oder wenn sie das ablehnen, bekommen sie Probleme mit der Ausländerbehörde. Das Assad-Regime reibt sich dabei die Hände. Wir werden uns mit gleichlautendem Schreiben parallel auch an Frau Ministerin Anne Spiegel wenden und die Landesregierung auffordern, zu dieser Härte gegenüber den subsidiär geschützten Menschen Stellung zu beziehen.
Abschließend appellieren wir an Sie alle als politisch Verantwortliche und Verwaltungshandelnde:
- Nutzen Sie Ihren Ermessensspielraum! Stellen Sie diese Praxis ein!
- Zwingen Sie die subsidiär geschützten syrischen Menschen nicht bei der Assad-
Botschaft vorzusprechen. Dies ist eine unzumutbare Härte und gefährdet deren
Familien im Heimatland. - Händigen Sie diesen Menschen wieder ihre Reiseausweise (grauer Pass) aus,
damit sie legal Freunde und Verwandte in der Bundesrepublik und in der EU
besuchen können.
Offener Brief an Frau Ministerin Anne Spiegel
Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes
Rheinland-Pfalz
Passbeschaffungspflicht syrischer, subsidiär geschützter Flüchtlinge durch die Ausländerbehörde
Sehr geehrte Frau Ministerin Spiegel,
wir sind ein Kreis engagierter, ehrenamtlicher Integrationslots*innen und Helfer*innen,
eingebunden und vernetzt in den AK-Asyl des Landkreises sowie in den AK-Asyl Rheinland-
Pfalz. Mit Entsetzen haben wir die Verpflichtung der Ausländerbehörde in unserem Landkreis Mainz-Bingen wahrnehmen müssen, wonach subsidiär anerkannte syrische Flüchtlinge bei der
Verlängerung ihres Aufenthaltstitels nun mit Fristsetzung zur Beschaffung eines syrischen Passes bei der syrischen Botschaft in Berlin aufgefordert werden. Auch wurden bereits ausgegebene und auf drei Jahre ausgestellte Reiseausweise für Ausländer (grauer Pass) bei der Aushändigung des verlängerten Aufenthaltstitels wieder eingezogen. Dies versetzt diese Menschen in Angst und Schrecken.
Der syrische Staat unterscheidet nicht wie das BAMF in Flüchtlingsstatus und subsidiären
Schutzstatus. Für das Assad-Regime sind alle geflohenen Menschen Verräter, Kriegsverweigerer
und Feinde des Regimes. Mit der Verpflichtung und Aufforderung die Botschaft zu betreten,
zwingen Sie diese Menschen sich auf territoriales Gebiet des Staates zu begeben, vor dem sie
geflohen sind. Sich dabei den staatstreuen Diplomaten auszuliefern, vor deren Regime sie fliehen mussten. Das ist in höchstem Maße unsittlich, verwerflich und diesen Menschen nicht zumutbar.
Hätten Sie oder die Landesregierung im Europa der 1930-er Jahre jüdische Flüchtlinge in
deutsche Nazibotschaften und zu Gestapo-Beamten geschickt um sich Reisepässe zu
beschaffen? Auch wenn diese Menschen sicher nicht in den Kellern der syrischen Botschaft in
Berlin verschwinden, so halten wir diesen Vergleich infolge der Verpflichtung zur Passbeschaffung und aufgrund der Situation in Syrien aber durchaus für zulässig. Sie zwingen diese Menschen, sich dem Assad-Regime zu offenbaren. Bisher hat das Regime keine kompletten Erkenntnisse, wer alles das Land verlassen hat. Mit der Passbeantragung liefern Sie diese Menschen nun der Willkür des Regimes aus. Es wird bekannt, wer geflohen ist und es wird bekannt, welcher Teil der Familie sich noch wo in Syrien aufhält. Dies setzt die gesamte Familie einer Verfolgungs- und Repressionsgefahr aus. Wir halten diese Gefahren für Sie, als verantwortliche Ministerin für Integration und für die Landesregierung von Rheinland-
Pfalz, für nicht einschätzbar und auch nicht für verantwortbar. Wir wissen sehr wohl, dass es grundsätzlich nach dem Aufenthaltsgesetz (§48) eine Mitwirkungsverpflichtung zur Identitätsbeschaffung gibt.
Sie wissen aber auch sehr wohl, dass die Erteilung und Verlängerung des Aufenthaltstitels nicht
von der Vorlage eines Heimatpasses abhängig gemacht werden darf, und Sie wissen auch, dass
bei Unzumutbarkeit der Beschaffung eines syrischen Passes sehr wohl der Reiseausweis für
Ausländer (grauer Pass) auszustellen ist. Es erscheint deshalb rechtlich zweifelhaft, ob diese
bereits ausgestellten Dokumente bei der Verlängerung des Aufenthaltstitels eingezogen werden dürfen, wie bei der Ausländerbehörde bereits geschehen. Insbesondere als Voraussetzung und in Verknüpfung der Aushändigung des neuen, verlängerten Aufenthaltstitels.
Wir verweisen in diesem Kontext auch auf das Mail des Bundesministeriums des Innern vom
06.07.2017. Dort heißt es ausdrücklich zur Passbeschaffung
….Dies gilt allerdings nicht für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte und
Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach §25 Absatz 3 (§5 Absatz 3 Satz 1 AufenthG). Diese
sind kraft Gesetzes von der Pflicht zur Erfüllung der Passpflicht für die Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis ausgenommen („ist … abzusehen“). Der Aufenthaltstitel ist somit
ungeachtet dieser Erteilungsvoraussetzung zu erteilen (s. Auch AVV Ziffer 5.3.1.1).
Solange das BAMF kein Widerrufsverfahren gegen jeden Einzelnen dieser Menschen eingeleitet
hat, ist die Ausländerbehörde verpflichtet, den Aufenthaltstitel ohne Auflagen zu verlängern.
Auch nach §5 Satz 1 Aufenthaltsverordnung ist
Einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Ersatzpass besitzt und ihn nicht auf
zumutbare Weise erlangen kann, kann nach Maßgabe der nachfolgenden
Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.
Und in Satz 2, 2. ist zur Mitwirkungspflicht ausgesagt
….., sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt, …
Darüber hinaus wird mit dieser Praxis dem Assad-Regime in die Hände gespielt. Die Gebühren
für die Ausweise steigen stetig und werden weiter willkürlich ansteigen, je mehr subsidiär
geschützte Menschen verpflichtet werden sich Pässe zu beschaffen oder vorhandene verlängern zu lassen. Diese Menschen müssen sich immer höher verschulden oder wenn sie das ablehnen, bekommen sie Probleme mit der Ausländerbehörde. Das Assad-Regime reibt sich dabei die Hände.
Sehr geehrte Frau Ministerin, wir bitten Sie eindringlich,
- bringen Sie diese Thematik auf die Tagesordnung der nächsten Kabinettssitzung,
- setzen Sie sich gegenüber dem Innenminister für eine sofortige Änderung dieser Praxis bei den Ausländerbehörden des Landes ein,
- seien Sie Vorreiterin eines Kabinettsbeschlusses, der diesem Verwaltungshandeln ein Ende setzt,
- nutzen Sie alle möglichen Ermessensspielräume in der Verwaltungspraxis,
- zwingen Sie als Mitglied der Landesregierung die subsidiär geschützten syrischen Menschen nicht bei der Assad-Botschaft vorzusprechen. Dies ist eine unzumutbare Härte und gefährdet deren Familien im Heimatland.
- Setzen Sie sich im Kabinett dafür ein, dass diesen Menschen wieder ihre Reiseausweise (grauer Pass) ausgehändigt werden, damit sie legal Freunde und Verwandte in der Bundesrepublik und in der EU besuchen können.
- Geben Sie diesen Menschen wieder das Vertrauen in ihren Schutzstatus hier bei uns in Rheinland-Pfalz zurück.