Bethlehem mit langem Atem

Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ … wie diese Geschichte weitergeht, ist vielen Menschen bekannt. Hier ist die Geschichte von der Herbergssuche einer syrischen Familie im 21. Jahrhundert, wie sie die kulturbunte Begleiterin aufgeschrieben hat:

Wie sich das anfühlt, eine Geburt mitten in der Nacht, in einem fremden Land, umgeben von fremden Menschen? Ihnen ist meine Sprache fremd, und ich kenne ihre Sprache nicht. H. erzählt heute, nach sechs Jahren in Bodenheim, von der Zeit, als sie mit ihrem Mann ankam:

„Ich komme aus Damaskus. Dort hatte mein Mann eine große Schneiderei. Mit 20 Angestellten fertigten wir Kleidung an. Wir hatten ein Auto, ich hatte einen Führerschein. Zusammen mit meinen Schwiegereltern wohnten wir in einem großen Haus. Wir waren jung und schmiedeten Zukunftspläne …. und dann kam die IS. Meinen Schwiegervater erschossen sie und sprengten unsere Näherei in die Luft. Mein Mann Y. erlitt einen Schock, dieser Schock hat ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen. Er spricht bis heute nur wenige Worte. Immer stärker wurden die Bedrohungen der IS. Wir entschlossen uns schweren Herzens unsere Heimat zu verlassen.

Im Boot übers stürmische Meer erreichten wir Italien. Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren. Im Boot knieten wir Frauen unten mit den Kindern auf dem Schoß. Die Männer rundum am und auf dem Rand. Noch heute habe ich viele Schmerzen in den Knien. Das Laufen fällt mir schwer.

Nach vielen Stationen kamen wir nach Trier ins Camp. 15 qm Zimmer, zu teilen mit weiteren vier Personen. Das war unsere erste Station in Deutschland. Nach vielen Befragungen und einer Gerichtsverhandlung wurden wir mit einem Bus nach Bodenheim gebracht. Hier wurde uns ein Zimmer mit Küche und Dusche zugeteilt. Nachbarn und Menschen aus der

Gemeinde kamen vorbei und brachten uns Decken, Kissen, Küchenutensilien und vielerlei Geschirr. Sie begleiteten uns zu den Geschäften, andere halfen bei Behördengängen. Nach sechs Monaten wurde ich schwanger. Im 4. Monat bekam ich am späten Abend starke Schmerzen. Y. stellte sich auf die Straße, um Hilfe zu holen. Wir hatten Glück, eine Frau kam vorbei und erkannte seinen hilfesuchenden Blick. Sie sprach deutsch und ich syrisch, doch irgendwoher kam eine Hebamme und ein Krankenwagen, der mich in die Klinik brachte. Ich lag da hilflos und voller Angst um mein Kind. Heute ist dieses Kind ein hübsches Mädchen.

In der kleinen Wohnung konnten wir nicht lange bleiben. Der Vermieter mochte keine Kinder. Wir bekamen noch einmal eine 1½-Zimmerwohnung zugeteilt. Inzwischen erhielten wir die Nachricht vom BaMF, dass wir anerkannt waren. Eigentlich ein Grund zur Freude: ‚Endlich auch von Amts wegen angekommen.‘ Doch jetzt begann unsere tatsächliche Herbergssuche. Wer anerkannt ist, muss den von der Verbandsgemeinde angemieteten Wohnraum verlassen. Eine schier aussichtslose Wohnungssuche begann:

– Suchen Sie sich erst mal eine Arbeit! – Solange das Jobcenter bezahlt – NEIN ! – 2½ Zimmer mit Kind ist zu klein. – ‚Ich würde Ihnen die Wohnung geben‘, sagt der Makler, ‚der Besitzer möchte aber keine Ausländer‘.

Aber in den Fenstern hängen Schilder: ‚Flüchtlinge willkommen‘ – ‚Sicherer Hafen‘.

Selten bittet man uns zur Besichtigung, um uns dann noch nicht einmal eine Absage zu senden. Nach fast zwei Jahren Wohnungssuche gab es endlich eine Vermieterin, die uns eine Wohnung geben wollte. Und da sagte die Ausländerbehörde nein. Die Wohnung hatte einige qm mehr als uns zustehen. Vor drei Monaten kam uns der Zufall zu Hilfe. Ein junger Mann, er kam als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei. Seine Eltern hatten damals gegen die gleichen Vorurteile zu kämpfen wie wir heute. Er vermietete uns die Wohnung, in der wir nun wirklich angekommen sind.

Wir arbeiten beide in einer großen Firma, Y. in seinem erlernten Beruf, und ich arbeite ihm zu. Inzwischen habe ich den B1-Abschluss in Deutsch, unsere Tochter wird im nächsten Jahr eingeschult. Viele hilfsbereite Menschen stehen uns zur Seite. Wir sagen Danke.

Bethlehem ist überall: Zuflucht finden, angenommen werden, Sicherheit – Friede – Heimat.

Bodenheim zum 3. Advent 2021


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