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Urteile & Entscheidungen
Frauen aus Afghanistan ist in ihrer Gesamtheit Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen
laut Beschluss des Europäischen Gerichtshofes (EuGH Rs. C 608/22 und C 609/22, AH und FN gegen Österreich) vom 04.10.2024 wegen der umfangreichen gegen sie gerichteten diskriminierenden Maßnahmen des Taliban-Regimes.
Zur ausführlichen Kommentierung und Einordnung durch PRO ASYL geht es hier. Insbesondere weist PRO ASYL darauf hin, dass die Entscheidung des EuGH eine Chance für afghanische Frauen darstellen kann, denen in der Vergangenheit im Asylverfahren nur ein Abschiebungsverbot oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wurde. Sie haben nun die Möglichkeit, mit Hilfe eines Asylfolgeantrags nachträglich doch noch die Flüchtlingseigenschaft zu erhalten. PRO ASYL weist zugleich darauf hin, dass Betroffene sich vor der Entscheidung für oder gegen einen Folgeantrag an eine Beratungsstelle oder eine/-n Anwalt/Anwältin wenden sollten, da nicht in jedem individuellen Fall ein Asylfolgeantrag vorteilhaft ist.
Gesetze
Verschärfungen im Deutschen Asylsystem
1) Am 06.11.2024 brachte die Bundesregierung im Rahmen einer Kabinettssitzung den „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz)“ einhellig auf den Weg durch das Gesetzgebungsverfahren. Statt auf eine „Minimalumsetzung“ der EU-Vorgaben setzt der Entwurf auf weit darüber hinausgehende Restriktionen, zu denen zusätzliche Freiheitsbeschränkungen, neue Haftformen und die Ausweitung der „sicheren Staaten“-Konzepte zählen. Eine Übersicht über die in dem Gesetzesentwurf derzeit geplanten asylrechtlichen Verschärfungen bietet PRO ASYL hier, eine umfangreiche Stellungnahme hier.
2) Das neue „Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ findet sich veröffentlicht im Bundesgesetzblatt hier. Der Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrates Timmo Scherenberg fasst die zentralen Punkte wie folgt zusammen:
- „kompletter Ausschluss von Leistungen nach dem AsylbLG für Dublin-Fälle, wenn das BaMF festgestellt hat, dass ihre ‚Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist,
- Möglichkeit, per KI (künstlicher Intelligenz) das Internet zwecks Identitätsfeststellung im Asylverfahren zu durchsuchen
- Anzeigepflicht für Schutzberechtigte bei Reisen ins Herkunftsland
- weitere Verschärfungen im Ausweisungsrecht und beim Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft.
Nach Claudius Voigt / Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V. (gGUA) bedeutet das für Dublin-Fälle:
Anspruch auf gekürzte AsylbLG-Leistungen nur noch für 2 Wochen, danach normalerweise Wegfall der Leistungen, wenn
- die Personen vollziehbar ausreisepflichtig sind, die Ausländerbehörde ihnen (in der Regel rechtswidrig) aber keine Duldung erteilt – der Leistungsausschluss gilt daher nicht für Personen mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung, und
- eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 AsylG (Dublin-Bescheid) erlassen wurde und
- eine Abschiebungsanordnung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG (nicht: Abschiebungsandrohung!) erlassen wurde und
- wenn ‚nach der Feststellung des BaMF die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist‘.
Leistungserbringung nach 2 Wochen nur in besonderen Härtefällen für das rein physische Existenzminimum. Das betrifft auch Unterkunft, Ernährung und Gesundheitsversorgung. Ausnahmen bestehen für die besonderen Bedürfnisse von Kindern.
Claudius Voigt rät bei der Beratung von Betroffenen dazu, in allen Fällen eines Leistungsausschlusses Rechtsmittel (Widerspruch, Klage und Eilantrag beim Sozialgericht) einzulegen. Details zu seinen Ausführungen finden sich hier und in einer Präsentation der gesetzlichen Regelung und Optionen, hiergegen ggf. vorzugehen hier.
Arbeitshilfen
“Checklisten zu Bleiberechten“ der Diakonie Deutschland
für die Migrationsberatung, um aufenthaltsrechtliche Perspektiven aufzuzeigen und Wege zur Erbringung der erforderlichen Integrationsleistungen, wie z.B. Sprachkenntnisse, Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung, Ausbildungsaufnahme oder Beschäftigung zu erarbeiten.
Die Checklisten betreffen:
- Aufenthaltsgewährung für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige (§ 25a AufenthG),
- Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration (§ 25b AufenthG),
- Regelungen, die einen Übergang in ein Bleiberecht ermöglichen, insbes.
- Chancen-Aufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG),
- Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis (§16g Abs. 1 AufenthG),
- Ausbildungs- (§ 60c AufenthG) und Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG) mit ihren jeweiligen Anschluss-Aufenthaltserlaubnissen.
Informationen
Integrationskurse – Kosteneinsparungen geplant
durch das Bundesministeriums des Innern und für Heimat laut Referentenentwurf (Stand 8. 10.2024) für die „Fünfte Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung“. Bis zum Jahr 2029 sollen durch die geplanten Änderungen Minderausgaben in Höhe von ca. € 750 Mio. sichergestellt werden. Dies betriff u.a.
- Einschränkung der Fahrtkostenerstattungen für Teilnehmer:innen (§ 4 a Abs. 1 IntV-E),
- Reduzierung der Möglichkeit von Kurswiederholungen im Fall des Nicht-Bestehens (Wegfall des § 5 Abs. 5 IntV),
- Ausdünnung des bisherigen Angebots an zielgruppenbezogenen Kursarten (§ 13 Abs. 1 IntV-E), u.a. keine Eltern- bzw. Frauenintegrationskurse.
Förderung von Anerkennung und Zeugnisbewertung
Wer die Anerkennung oder eine Zeugnisbewertung beantragen will und ein geringes Einkommen hat, kann finanzielle Unterstützung durch den Anerkennungszuschuss erhalten. Auch Qualifizierungen können unter bestimmten Voraussetzungen gefördert werden. Interessierte sollten die finanzielle Förderung beantragen, bevor sie den Antrag auf Anerkennung stellen. Rückwirkend können keine Kosten übernommen werden. Wer Bürgergeld erhält, sollte Fördermöglichkeiten zuerst mit dem Jobcenter klären. Mehr Informationen und die Antragsformulare finden sich hier.
Arbeits- und Ausbildungsmarkt unter besonderer Berücksichtigung des Anteils von Geflüchteten
1) „Situation am Ausbildungsmarkt 2023/24“ – Bericht der Bundesagentur für Arbeit (BA)
Leichter Rückgang der zum 30.09.2024 unbesetzten Lehrstellen (69.000) gegenüber 2023 (73.000). Weiterhin aber ausgeprägte Besetzungsprobleme u.a. in den Bereichen „Baugewerbe“, „Hotel- und Gaststättengewerbe“, „Verkauf“ und „Fahrzeugführung“. Im Detail:
- Die Zahl der gemeldeten Bewerber:innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (inkl. Geflüchteter) ist im Vergleich zu 2023 um 15 % angestiegen.
- Ausländer:innen (inkl. Geflüchteter) waren bei der Ausbildungssuche 2024 aber weniger erfolgreich als Deutsche: Während 49 % aller deutschen Bewerber:innen eine Ausbildung begannen, lag dieser Anteil bei ausländischen Bewerber:innen bei lediglich 35 %.
- Die Zahl der unbesetzten Lehrstellen hätte Ende September 2024 in Deutschland ohne Ausländer:innen nicht nur bei 69.000, sondern 102.000 gelegen. Denn 33.000 der bis Ende September 2024 insgesamt 198.000 Bewerber:innen, die tatsächlich eine Berufsausbildung begonnen hatten, waren Ausländer:innen (davon ca. 11.000 Geflüchtete). Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für Rheinland-Pfalz: Hier hätte die Zahl der Ende September 2024 unbesetzten Lehrstellen ohne Ausländer:innen ca. 5.000 betragen.
2) Der „Zuwanderungsmonitor für Oktober 2024“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) macht u.a. deutlich, dass die Zahl der Beschäftigten zwischen August 2023 und August 2024 ohne Geflüchtete nicht – wie jetzt – bundesweit um ca. 80.000 Personen angewachsen, sondern um ca. 65.000 Personen zurückgegangen wäre. Und er macht deutlich, dass zwischen August 2023 und August 2024 unter geflüchteten Personen – entgegen dem Gesamttrend – a) die Beschäftigtenquote angestiegen, b) die Arbeitslosenquote gesunken und c) die SGB-II-Hilfequote zurückgegangen ist. Alle diese Daten und Fakten können dazu beitragen, die Diskussion über Zuwanderung zu versachlichen und die große Bedeutung betonen, die Geflüchteten schon jetzt und erst recht perspektivisch auf dem Arbeitsmarkt zukommt.
Entwicklung der Flüchtlingszahlen
1) Die Gesamtzahl der in Deutschland lebenden schutzberechtigten, schutzsuchenden oder geduldeten Personen ist laut Antwort der Bundesregierung zwischen dem 30.06.2023 und dem 30.06.2024 um 6,7 % angewachsen. Die Hälfte dieses Zuwachses geht auf Geflüchtete aus der Ukraine zurück.
Für Rheinland-Pfalz ergibt sich ein ähnliches Bild: Hier ist ein Zuwachs von 6,4 % zu verzeichnen, bei denen mehr als 60 % Geflüchtete aus der Ukraine ausmachen. In der Realität bedeutet das für Rheinland-Pfalz: Wo immer am 30.06.2023 1.000 Menschen lebten, waren es fluchtbedingt zum 30.06.2024 rechnerisch 1.002 Menschen.
2) Die Bilanz der Asylentscheidungen des BaMF für 01/2024 bis 10/2024 ist hier veröffentlicht. Der Vergleich mit den Zahlen von 01/2023 bis 10/2023 (hier) verdeutlicht die Veränderungen in der Entscheidungspraxis des BaMF:
- weniger Asylanträgen
- mehr Entscheidungen
- sinkende Schutzquoten
- mehr inhaltliche Ablehnungen und
- weniger Flüchtlingsanerkennungen.
Nicht nur herkunftslandübergreifend, sondern auch für die einzelnen Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden sind diese Tendenzen hier detailliert aufgeführt.
Diskriminierung
1) Die Grundrechteagentur der Europäischen Union (FRA) hat in ihrem hier veröffentlichten Bericht „Being Muslim in the EU – Experiences of Muslimes“ aktuelle Daten zu den Erfahrungen von Muslim:innen in der EU mit Diskriminierung, Rassismus und Teilhabechancen veröffentlicht. Die Ergebnisse basieren auf Umfragen unter knapp 10.000 Muslim:innen in den Jahren 2021 und 2022 – also noch vor dem 7. Oktober 2023 und seinen Folgen. Zuletzt hatte die FRA die Ergebnisse einer solchen Befragung im Jahr 2016 veröffentlicht.
Der Vergleich zwischen 2016 und 2021/22 ist beunruhigend: Nahezu die Hälfte der muslimischen Personen in der EU erlebt nach eigenen Angaben rassistische Diskriminierung; 2016 waren es noch 39 %. Der Anteil der Betroffenen von Rassismus ist laut FRA in Österreich (71 %), Deutschland (68 %) und Finnland (63 %) besonders hoch.
Eine deutschsprachige Zusammenfassung der zentralen Befunde und ergebnisbasierten Empfehlungen der FRA an die Mitgliedsstaaten der EU finden sich hier.
2) Für Deutschland hat der Antidiskriminierungsverband Deutschland e. V. (advd) am 15.10.2024 hier das erste „Zivilgesellschaftliche Lagebild Antidiskriminierung“ veröffentlicht. In etwa der Hälfte dieser Fälle (50,4 %) stand rassistische Diskriminierung im Raum. 19,2 % aller Beratungsersuchen drehten sich um eine Diskriminierungserfahrung aufgrund von Behinderungen und / oder chronischen Erkrankungen und 17,1 % aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Identität. Die meisten der gemeldeten Fälle standen im Kontext von Arbeit (24,7 %), gefolgt von den Bereichen Bildung (18,8 %) und Zugang zu Gütern / Dienstleistungen (13,7 %).
Veranstaltungen
My Story of Integration
Veranstalter: Ukrainische Verein Mainz e.V.
Inhalt: Persönliche Geschichten, die soziale, familiäre, schulische oder berufliche Integrationsgeschichte, werden erzählt, mit anderen geteilt und damit evtl. anderen geholfen. Die persönlichen Geschichten werden im Rahmen der Veranstaltung von einem Künstler illustriert.
Zielgruppe: Menschen mit einer Migrationsgeschichte, die seit mehr als 5 Jahren in Deutschland leben und Deutsch mindestens auf B2-Niveau sprechen.
Zeit: Donnerstag, 28.11., 17:30 Uhr
Ort: Stadthaus, Große Bleiche 46, Mainz
Weitere Informationen: Wer seine/ihre Geschichte am 28.11. erzählen möchte, kann sich ab sofort beim Ukrainischen Verein Mainz e.V. – Ansprechperson ist Zhanna Bondar (Psychologin UA) – anmelden: Mail: mystory.ofintegration@gmail.com, Tel. 0151 23399299. Zum Flyer geht es hier.
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